Draußen erklärt die Reiseleiterin ihren Gästen vor einem historischen Gebäude etwas.

Art nouveau in Nancy

Fotonachweis: Oliver Raatz

Wie sich französische Designer und Architekten um 1900 von der organischen Vielfalt der Pflanzen inspirieren ließen, um eine ganz neue Kunst zu schaffen. Rundgang durch die Stadt, in der der Art nouveau zu einer besonderen Blüte fand.

Manchmal verschwimmen hier die Grenzen zwischen drinnen und draußen tatsächlich. Wenn das Laub der Bäume vor den Fenstern der Villa das Licht auffächert und die Schatten der Blätter über die Tapete tanzen, wenn die Sonnenstrahlen die Rundungen der Holzmöbel liebkosen und die gemalten Ranken wirken wie echtes Efeu: Spätestens dann versteht man, dass die Welt der Pflanzen die wichtigste Inspirationsquelle des Art nouveau war.

Architekten, Möbelschreiner und Maler waren sich einig: Die Natur sollte überall sein. Überall. Sie sollte sich spiegeln in den Fenstern und Farben. Man sollte sie spüren, wenn man mit der Hand über das Mobiliar strich. Und sie sehen, wenn man die schmiedeeisernen Geländer mit ihren Silberblättern betrachtete. „Ma racine est au fond des bois“ hatte Louis Majorelle in die Tür von Emile Gallés Werkstatt graviert: Meine Wurzel ist im Boden des Waldes.

Von unten ist eine Holztreppe zu sehen, die den Kurven der Natur nachempfunden ist. In der Mitte des Bildes hängt eine Buntglaslampe. Fotonachweis: Oliver Raatz
Die Villa Majorelle

Da haben wir auch gleich die beiden wichtigsten Personen, die in Nancy immer dort auftauchen, wo es um das Art-Nouveau-Erbe der Stadt geht. Emile Gallé, ein gelernter Botaniker und begnadeter Glas- und Keramikdesigner, hatte 1901 mit Künstlerfreunden die „Vereinigung des Kunstgewerbes der Provinz“ gegründet, die man bis heute als „Schule von Nancy“ kennt.

Louis Majorelle wiederum war Möbeldesigner und wie Gallé davon überzeugt, dass alle Formen und Farben der Kunst ihren Ursprung in der Natur haben. In einem großen Garten ließ er sich die schönste Villa bauen, die Nancy je gesehen hatte – und gab ihr seinen Familiennamen. Wenn man sehen möchte, wie verspielt und gleichzeitig revolutionär man damals in Lothringen baute: dann muss man in die Villa Majorelle.

„Und den Garten sollte man sich auch anschauen.“ Sagt Anne Bouigeon. Sie ist Stadtführerin in Nancy und erlebt immer wieder, wie schnell Besucher den Kern des Art nouveau erfassen, wenn sie dessen Bezüge zur Natur entdecken.

Auf einem Schild an einer historischen Schule in Nancy steht in französischer Sprache "Museum der Schule von Nancy". Fotonachweis: Oliver Raatz

Deshalb legt sie bei ihren Stadtrundgängen auch immer wieder kurze Stopps in Parks und Gärten ein. „Natürlich ist das Museum der École de Nancy wichtig, wenn man ihren Einfluss auf Architektur und Kunst verstehen möchte. Der Garten des Museums gehört aber ebenso dazu. Dort holten sich die Künstler nämlich ihre Inspirationen.“

In einem Garten zeigt die Fremdenführerin ihrem Gast eine der Inspirationen für die komplizierten Metallarbeiten in der Architektur, die sie gesehen haben. Der Gast hält eine weiße Blume in seiner Hand.
Fotonachweis: Oliver Raatz
Design für alle

Es waren Männer wie Gallé und Majorelle, aber auch Kollegen wie der Maler Victor Prouvé, der Architekt Lucien Weissenburger oder die Brüder Auguste und Antonin Daum mit ihrer Glasmanufaktur, die Nancy neben Paris ab etwa 1880 zum Zentrum des Art nouveau machten. Sie schufen außergewöhnliche Einzelstücke; was gefiel, wurde anschließend für eine deutlich günstigere Massenproduktion angepasst.

„Kunst in allem, Kunst für alle“ war ein Motto der Bewegung. Und Nancy machte mit. Überall in seinen Wohnzimmern standen plötzlich Art-nouveau-Möbel, Gläser und Dekorationsstücke.

Und an den Straßen stand sehr bald eine prächtige Architektur. Bis heute gehören die eleganten Kurven des Art nouveau zum Stadtbild. Wer es sich leisten konnte und kunstinteressiert war, ließ sich eine Villa bauen; manche Industrielle sogar bewusst entlang der Bahngleise, damit das Haus von möglichst vielen Menschen bewundert werden konnte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das komplette Viertel zwischen Bahnhof und der Place Stanislas eine einzige Baustelle. Viele der Gebäude, die sich Bankiers ebenso entwerfen ließen wie gut situierte Apotheker, kann man sich bis heute ansehen.

Insgesamt gibt es in Nancy noch etwa 350 Gebäude im Art-nouveau-Stil. „Das größte Projekt ist dann aber doch nicht verwirklicht worden. Jedenfalls nicht so, wie es ursprünglich gedacht war.“ Anne Bouigeon zeigt ihren Gästen die Straßenzüge natürlich trotzdem. Eine komplette Art-nouveau-Gartenstadt sollte 1901 entstehen, der Saurupt Park, umzäunt, bewacht, nicht öffentlich.

Auf der Straße zeigt die Fremdenführerin ihren Gästen die komplizierten Details an der Außenseite des Gebäudes. Fotonachweis: Oliver Raatz

Vielleicht hat die Idee deshalb nicht funktioniert. Von den ursprünglich vorgesehenen hundert Villen wurden am Ende nur sechs gebaut. Erst als man nach dem Ersten Weltkrieg Reihenhäuser anbot und den Park öffentlich zugänglich machte, war das Interesse geweckt. Jetzt wurde gebaut – nun aber bereits im neuen Art déco, das damals gerade en vogue war. Der neue Stil sollte von Paris aus schnell die Kunstwelt erobern. Art nouveau aber wird für immer mit Nancy verbunden sein.

Aus der Nähe kann man ein wunderschönes, kompliziertes Buntglasobjekt sehen. Die Farben sind hauptsächlich violett, dunkelblau, gelb und orange.

Fotonachweis: Oliver Raatz
Im Inneren des Gebäudes zeigt die Fremdenführerin ihren Gästen den Einfluss der Natur auf den Architekten. Ein alter Kamin ist in natürlich geschwungenen Formen gebaut.

Fotonachweis: Oliver Raatz
Die Fremdenführerin hält eine Karte in den Händen, während zwei Gäste in den Straßen von Nancy schauen und lauschen.

Fotonachweis: Oliver Raatz
Im Inneren des Gebäudes ist der Einfluss der Natur deutlich zu spüren. Ein altes Gemälde zeigt einen Schwarm wilder Vögel, und das Gemälde ist von natürlichen Holzformen umgeben.

Fotonachweis: Oliver Raatz
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