Die Familie geht über eine rot gestrichene Freifläche vor dem Bergwerk Wendel.

Mine Wendel: Glück auf!

Fotonachweis: Gregor Lengler
Der Kohle auf der Spur

Einst war Lothringen das französische Zentrum der Steinkohleförderung. Von 1818 bis 2004 waren in der Region 58 Bergwerksschächte in Betrieb. Mittlerweile sind alle geschlossen – einige wenige sind heute als Museum oder Teil eines Naturschutzgebiets für Besucher zugänglich. Eine Radtour vom Schaubergwerk Parc Explor zum Steinbruch Carrière Barrois.

Verlassen ragen die über 50 Meter hohen Fördergerüste gen Himmel. Rot-brauner Rost schält sich vom Metall. Schon lange dreht sich keines der großen Zahnräder oben an den Türmen mehr. Keiner der 5.000 Bergmänner erscheint täglich zur Arbeit. Die Fließbänder stehen still. Im Stollen hunderte Meter unter der Erde herrscht kein ohrenbetäubender Lärm mehr, die Kohlehobel und Walzenschrämmlader, die früher die Kohle abtrugen, sind heute nur noch Dekoration.

Die Förderkörbe, die die Arbeiter unter Tage brachten, wurden schon vor langer Zeit abgerissen. Wind und Wetter haben den Gebäuden auf dem Zechengelände in Petite-Rosselle zugesetzt. Fensterscheiben sind zerbrochen, Backsteine bröckeln aus den Fassaden, aus einem Haus wächst ein Baum. Was einst Schwerindustrie war, wird so langsam wieder grün.

Die Familie radelt durch das ehemalige Bergwerksgelände. Fotonachweis: Gregor Lengler

Das Steinkohlebergwerk La Mine Wendel, heute bekannt unter dem Namen Parc Explor, war eines von acht Bergwerken im Lothringischen Kohlebecken. Es ist etwa 49.000 Hektar groß und erstreckt sich von Faulquemont im Süden bis Villing im Nord-Westen und Stiring-Wendel im Nord-Osten. Von 1830 bis 1987 entstanden hier 58 Bergwerksschächte, in denen zigtausende Menschen bis zu 15,6 Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr aus der Erde förderten. Eine der größten Minen im lothringischen Becken war die Grube Wendel. Heute ist sie, anders als viele andere Bergwerke, für Besucher geöffnet.

Einer, der jeden Winkel hier kennt, ist Guide Bertrand Bourgon. Seit zehn Jahren führt er Besucher durch das Museum Les Mineurs Wendel, das 2006 im ehemaligen Bergarbeitergebäude eröffnet wurde, und die Grube Wendel, die ein Nachbau eines Stollens ist. „Die gesamte Region lebte 150 Jahre lang vom Bergbau“, erzählt er. „Meine Kindheit ist geprägt von diesem Ort und meine ganze Familie stand auf die eine oder andere Weise in Beziehung zum Bergwerk.“

Ein Portrait des Reiseleiters. Er trägt einen weißen Helm und eine blaue Jacke vor einem riesigen, rostigen Werkzeug aus dem ehemaligen Bergwerk. Fotonachweis: Gregor Lengler
Wenn der Himmel dunkler und bedeckter wird, fallen die Gebäude des ehemaligen Bergwerks durch ihre rotbraune Farbe auf.
Fotonachweis: Gregor Lengler
Das Highlight im Parc Explore: der begehbare Stollen unter der Erde

Jessica und ihr Mann Michael interessieren sich für das Thema und waren schon mehrfach mit ihrer sechsjährigen Tochter Axelle im Museum, denn die Führungen sind nicht nur für Erwachsene geeignet. Mit weißem Helm und in einer blauen Bergmannskluft begrüßt Bertrand die Familie und führt sie in die Kaue, den Umkleideraum der Bergleute.

„Das Bergwerk ähnelte früher einem Ameisenhaufen: Mehr als 100 Jahre lang haben hier Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit gearbeitet“, erzählt er. „In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre arbeiteten jede Woche mehr als 4.500 Bergleute unter Tage, und etwa 2.000 Personen über der Erde.“ Und weiter: „In der Kaue wechselten die Arbeiter damals ihre Alltagskleidung gegen ihre Dienstklamotten. Jeder Bergmann hatte einen eigenen Metallhaken, an den er seine Kleidungsstücke und die Schuhe aufhängte und mit Hilfe einer Metallkette hoch unter die Decke zog.“

Er deutet nach oben und tatsächlich hängen auf der rechten Seite des Raumes bunte T-Shirts, Jeanshosen und Turnschuhe, auf der linken einheitlich weiße oder blaue Hosen und Overalls, Gummistiefel oder schwarze Sicherheitsschuhe und Helme. Dann ging es für die Männer in einem stählernen Käfig, dem Förderkorb, hinab in den Stollen.

Die Familie und der Tourguide gehen durch einen Raum im ehemaligen Bergwerk, in dem Bergmannskleidung als Ausstellungsstück von der Decke hängt. Fotonachweis: Gregor Lengler

Auch Gäste im Parc Explor können sich die Arbeitswelt tief unter der Erde ansehen. Natürlich nicht in einem echten Stollen, sondern in der Grube Wendel, der Rekonstruktion eines Stollens. Dunkel ist es hier. Nur spärlich werden die riesigen Geräte und Grubenfahrzeuge von orangefarbenem Licht erleuchtet. Die Geräusche von Presslufthämmern, Stimmengewirr und Motoren erfüllen die schmalen Gänge. „Wir sind hier im modernsten Abschnitt der Mine, wo am 26. April 2004 das letzte Stück Kohle gefördert wurde“, erklärt Bertrand und deutet auf eine riesige Maschine mit einem großen Schaufelrad vorne.

„Das ist die Schrämmaschine Electra 2000, die modernste ihrer Art, die man hier in Lothringen eingesetzt hat. Auf einer Länge von 250 Metern hat sie vier Kubikmeter Kohle gefördert, an einem Tag bis zu 20.000 Tonnen.“ Jessica und Michael staunen. Bertrand erzählt weiter: „Es handelt sich um die einzige Maschine ihrer Art, die man aus den Schächten des Lothringischen Kohlebeckens geborgen hat, um sie in einem Museum auszustellen. Alle anderen sind bis heute noch unter Tage. Damit ging zwar eine Menge Geld verloren, aber diese große Maschinen zu bergen, wäre noch teurer gewesen.“

Der Tourguide begleitet seine Gäste tief unter die Erde ins Bergwerk Wendel. Fotonachweis: Gregor Lengler

Wieder über der Erde ist der Familie die Erleichterung anzusehen. „Auch wenn wir jederzeit wieder raus gekonnt hätten, ein mulmiges Gefühl hatten wir dort unten schon“, so Jessica. „Es ist einfach unvorstellbar, wie die Arbeit dort unten gewesen sein muss.“

Die Hand eines Mannes hält zwei Kohlestücke.
Fotonachweis: Gregor Lengler

Einen Mann, der genau davon erzählen kann, trifft die Familie im sieben Kilometer entfernten Freyming-Merlebach im Steinbruch Carrière Barrois. Der Weg dorthin bietet eine gute Gelegenheit, die Region mit dem Fahrrad zu erkunden. Räder können sich Besucher im Parc Explor direkt ausleihen. Der zum Großteil ebene Radweg führt durch die deutschen Orte Großrosseln, Dorf im Warndt und Karlsbrunn und erreicht kurz vor Freyming-Merlebach wieder französischen Boden. Unterwegs fallen vor allem die vielen kleinen Einfamilienhäuser auf, in denen zur Zeit des Steinkohleabbaus zahlreiche Bergmänner lebten.

Im Steinbruch erinnert heute nur noch wenig an die Zeit des Kohleabbaus

Nach etwa einer Stunde Fahrt erreichen Jessica, Michael und Axelle die Aussichtsplattform Belvédère am Steinbruch Carrière Barrois, wo sie schon von Gästeführer Denis Hilt erwartet werden. Auf 80 Metern Höhe haben die vier einen weiten Ausblick auf den insgesamt vier Kilometer langen „Canyon“, der sich mitten durch die Landschaft zieht. Tief unten liegen drei Seen, still und friedlich.

Schilf ragt an den Ufern in die Höhe und Enten schwimmen gemächlich umher. Auf den Schotterwegen rund um die Seen sind Radfahrer und ein paar Spaziergänger unterwegs. Ganz links erkennt man bis zu 100 Meter hohe Sandsteinfelsen, die im Abendlicht orange leuchten. Auf der gegenüberliegenden Seite ragen Berge aus grauen Steinen in die Höhe. Sie haben keine Spitze und sehen unnatürlich aus. „Das sind die Halden mit Sand und Steinen aus den Gruben“, erzählt Denis. „Sie sind das einzige, was heute an die Stollen und Schächte unter der Erde erinnert, die es hier bis 2004 gab.“

Hinter den Halden liegt Wald. Zwischen den Bäumen schauen ein paar Hausdächer hervor. „Das ist die ehemalige Gruben-Siedlung Sainte-Fontaine“, so Denis. „Während meiner Zeit als Bergmann habe ich dort gelebt. Und wenn ihr nach links schaut, seht ihr die Siedlung Hochwald und die Fördertürme von Cuvelette Nord, das ist der gelbe, und Cuvelette Süd, das ist der aus Beton.“

Eine kleine Familie hört dem Reiseleiter zu, wie er ihnen die Gegend erklärt, durch die sie gehen. Im Hintergrund sind Klippen zu sehen. Fotonachweis: Gregor Lengler

Gemeinsam machen sich die vier auf den Weg hinunter in den Steinbruch, der mittlerweile unter Naturschutz steht. Unterwegs erzählt Denis von seinem Leben als Bergmann. „Die Arbeit unter Tage war hart. Wir haben meist acht Stunden in den Stollen verbracht, bei einer Temperatur von mehr als 40 Grad Celsius. Zudem war es staubig und dunkel dort unten. Damals haben aber eben fast alle in der Region hier gearbeitet und wir haben gutes Geld verdient. Bevor wir durch unsere Arbeit diesen Canyon hier erschaffen haben, war hier nichts als Wald. Von 1905 bis 2004 stand hier weit und breit kein einziger Baum mehr, nicht mal ein Grashalm. Die Menschen heute können sich nicht mehr vorstellen, wie es hier einmal ausgesehen hat. Das alles war eine große Sandgrube.“

Heute ist der Steinbruch ein beliebtes Naherholungsgebiet. Rund um die Seen stehen hölzerne Bänke, im Wasser tummeln sich Hechte, Karpfen, Barsche und Schleien, was sie auch bei Anglern beliebt macht. Und es gibt mehrere Aussichtsplätze mit bestem Blick auf das abendliche Schauspiel der leuchtenden Sandsteinwand, die gleichzeitig die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich markiert. Auch Jessica, Michael und Axelle genießen den Anblick, bevor sie sich auf den Weg zurück nach Kleinrosseln machen.

Das Naturschutzgebiet ist durch einige Farne sichtbar, im Hintergrund sind ein See und kleine Hügel zu sehen. Fotonachweis: Gregor Lengler

Nichts erinnert an diesem idyllischen Ort daran, dass hier einmal hunderte Lastwagen fuhren, 5.000 Bergmänner täglich zur Arbeit gingen, kilometerlange Förderbänder Steinkohle an die Erdoberfläche transportierten und sich in den Stollen gewaltige Maschinen mit einem ohrenbetäubenden Lärm durchs Gestein frästen. Auch von den sieben Kilometer langen Bahnschienen, auf denen die Kohle zu den Kohlewäschereien transportiert wurde, ist heute kaum noch etwas zu sehen. Grüne Büsche und Gras sind über die Schienen gewuchert, auf den Hängen der Halden wachsen wieder Bäume. Die Natur holt sich zurück, was ihr vor vielen Jahren genommen wurde.

Weitere Informationen bei Tourismusbüro des Pays de Forbach :
https://parc-explor.com/de/

Oder sonst bei Touristeninformation des Gemeindeverbands Freyming-Merlebach :
http://www.tourismepaysdefreyming-merlebach.fr/index.php

Eine Luftaufnahme des Naturschutzgebietes, in dem Bäume nach Jahren des Abbaus und der Ausbeutung langsam nachwachsen.
Fotonachweis: Gregor Lengler
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