Metz
Fotonachweis: Jochen TackAuf Zeitreise von Viertel zu Viertel
Von mittelalterlichen Prachtbauten über ein architektonisch vielfältiges und intaktes Ensemble aus der Gründerzeit bis zum futuristischen Museum: Metz ist vielschichtig. Auf Entdeckungstour durch die Stadt und ihre Geschichte mit dem deutsch-französischen Guide Pierre Liput.
Die Sonne strahlt an diesem Morgen sanft über der Place d’Armes. An allen Seiten des rechteckigen Platzes leuchten die Fassaden aus hellgelbem Sandstein in warmem Licht. Fast so, als ob sie – Hauptwache, Rathaus und Kathedrale – die Besucher mit einem Lächeln in der Stadt begrüßen wollen. Der ehemalige Paradeplatz liegt im Zentrum von Metz. Von hier aus nimmt uns der deutsch-französische Guide Pierre Liput mit auf einen Rundgang durch die bevölkerungsreichste Stadt Lothringens. Eine Zeitreise von Viertel zu Viertel, wie er selbst gerne sagt.
Majestätisch hebt sich die 800 Jahre alte gotische Kathedrale Saint-Étienne von den umliegenden Gebäuden an der Place d’Armes ab. 42 Meter ragen ihre Gewölbe empor, sie zählen zu den höchsten in ganz Frankreich. Bekannt ist der Stephansdom für seine riesige Fläche an kunstvoll bemalten Fenstern – 6500 Quadratmeter –, darunter auch einige von Marc Chagall. Doch Pierre faszinieren vor allem die kleinen Details.
Er zeigt auf eine der vielen Statuen am Hauptportal. „Seht ihr die großen Augen? Das sind die von Kaiser Wilhelm II.! Sein Schnurrbart ist allerdings verschwunden.“ Ein deutscher Kaiser als Figur an einer französischen Kathedrale? Ja, denn das Hauptportal wurde erst 1903 errichtet und damals gehörte Lothringen zum deutschen Kaiserreich. Den besten Blick auf den Dom habe man im Übrigen von Südwesten aus an der Ecke Rue d’Estrées / Place de Chambre, meint Pierre. Wenn die Sonne günstig steht, lassen sich hier sogar Motive der farbreichen Kirchenfenster erkennen.
In einer engen Seitengasse in der Nähe der Place d’Armes heißt es auf einmal: Film ab! Bunte Eintrittskarten von der Rolle, Filmstreifen mit den Ziffern eines Countdowns, eine Synchronklappe vor dem nächsten Take – im Licht des Projektors erscheint ein Potpourri an typischen Elementen aus der Welt des Kinos. Auf dem Filmplakat daneben das Konterfei von Jacques-François Blondel, dem Architekten der klassizistischen Place d’Armes.
All das gehört zu einem Fresko, das 2018 zwei Metzer Street-Art-Künstler auf der Rückseite des Kinos in der Rue Blondel installiert haben. Ein paar Straßen weiter treffen sich an der Mauer eines Supermarkts die Blicke einer jungen Frau und eines jungen Mannes. Zwischen und hinter ihnen Landmarken wie die Kathedrale und die Porte des Allemands. „Dieses Graffiti zeigt sehr schön, wie moderne Street-Art und das historische Erbe der Stadt zusammenpassen“, sagt Pierre. Seit einigen Jahren fördert man in Metz öffentlich Street-Art-Projekte.
Graoully: ein Drache als inoffizielles Wappen
Beim Schlendern durch die Altstadt fällt bald auf, wie präsent der hellgelbe, ins ockerfarben gehende Jaumont-Stein im Straßenbild ist, der für zahlreiche Gebäude verwendet wurde. Ein Rohstoff aus der Region. So auch auf dem Hügel Sainte-Croix. Über teils buntes Kopfsteinpflaster führt die Rue Taison in Metz’ mittelalterlichen Teil. Über der ältesten Straße der Stadt schwebt, gehalten von ein paar Seilen, ein Drache. „Das ist Graoully. Der Legende nach hat der Heilige Clemens die Bestie im 3. Jahrhundert vertrieben, aber wir erinnern uns immer noch an ihn. Graoully ist das inoffizielle Wappen von Metz“, erzählt Pierre.
Eine Fahne flattert im Wind. „49 Nord 6 Est, Frac Lorraine“, ist darauf zu lesen, hier am höchsten Punkt im Viertel vor dem Hôtel Saint-Livier. Heute befinden sich in dem Stadtpalais aus dem 12. Jahrhundert die Ausstellungsräume des regionalen lothringischen Fonds für zeitgenössische Kunst, kurz FRAC. An keinem anderen Ort in der Stadt treffe das Mittelalter so unmittelbar auf die Gegenwart, meint Pierre.
Wer genau hinschaut, entdeckt auch unscheinbare Kunstwerke, etwa Weltkarten en miniature auf einer Regenrinne und auf einem Bogen im Treppenhaus. Aber der FRAC hat noch mehr Geheimnisse. Pierre führt auf den Turm. Aus den Fenstern in knapp 40 Metern Höhe eröffnet sich nicht nur ein hervorragendes Panorama über Metz, auch eine haushohe Installation der Performance-Künstlerin Tania Mouraud ist nur von hier aus zu sehen.
Wieder festen Grund unter den Füßen geht es weiter zum ehemaligen Rekollekten-Kloster. „Das ist eine wenig bekannte Ruheoase im Herzen der Altstadt, ein Ort der Geschichte und der Natur“, sagt Pierre mit Blick auf den Innenhof: hier die noch erhaltenen Spitzbögen des rechteckigen Kreuzgangs, da der Kräutergarten, in dem rund 100 verschiedene Heilpflanzen wachsen. Nach etwas Kontemplation nehmen wir die Rue d’Enfer Richtung Zentrum.
Der Name der steil abfallenden Straße lässt zwar an die Hölle denken – so lautet jedenfalls die deutsche Übersetzung –, doch das täuscht. Wilder Wein rankt an den Fassaden bis unter die Giebel empor. Die leicht schiefen Fensterläden und Balkonbalustraden strahlen in Hellblau. So ähnlich sehen viele der kleinen Gassen aus, die sich durch die Dörfer der Provence schlängeln – und eben inmitten einer lothringischen Großstadt.
Quartier Impérial: gründerzeitlicher Stilmix für jeden Geschmack
Zurück an der Place d’Armes regt Pierre einen Zwischenstopp in der historischen Markthalle an. In einem Gang duftet es sanft nach den geräucherten Wurstspezialitäten aus der Region, eine Ecke weiter türmen sich verschiedene Käselaibe, in einem anderen Gang wird frischer Fisch feilgeboten. „Das ist wirklich der Bauch von Metz“, sagt Pierre in Anspielung an den berühmten Roman von Émile Zola, „hierher kommt man zum Essen und Trinken, zum Einkaufen, zum Treffen mit Freunden.“
Nach kurzem Fußmarsch erreichen wir die Porte des Allemands. Mächtig überspannt das Deutsche Tor den Fluss Seille. Dabei wirkt das im 13. Jahrhundert erbaute und letzte noch erhaltene der einst 17 Stadttore mit seinen Zinnen und Türmen, Gewölben und Scharten eher wie eine kleine Burg. Von der „Postkarte von Metz“, wie Pierre die Reste der Befestigung gerne nennt, sind es nur wenige Gehminuten bis ins Quartier Impérial. Prunkstück des gut erhaltenen Gründerzeitviertels ist der Hauptbahnhof. Entlang seiner 300 Meter langen Fassade finden sich romanische Rundbögen und detailliert verzierte Säulen neben Fenstern im Jugendstil.
„Diese Stilvielfalt ist charakteristisch für die damalige Zeit und zieht sich durch das ganze Viertel, das dem deutschen Kaiser als eine Art Vitrine gedient hat“, erklärt Pierre. „Jedes Haus, jeder Platz sieht anders aus. Das verleiht dem Quartier seinen Reiz. Jeder, der durch Metz spaziert, findet hier etwas nach seinem Geschmack.“ Und wer nicht weiß, wo er anfangen soll, dem empfiehlt der Guide die Place Mondon. Gedacht als Eingangstor in das kaiserliche Viertel, treffen an dem kreisrunden Platz die unterschiedlichsten Stile aufeinander, von hellen Neorenaissance-Gebäuden bis zu typisch wilhelminischen Fassaden aus rotem Vogesen-Sandstein.
In Metz liegen zwischen Jahrhunderten oftmals nur einige Dutzend Meter, sagt Pierre über seine Stadt. Gleich hinter dem Bahnhof, wo einst die Römer den Spielen im Amphitheater zuschauten, steht seit 2010 mit dem Kunstmuseum Centre Pompidou eine der modernsten Landmarken von Metz. Ein Stück Architektur, das mit seiner futuristischen Form überrascht. Mit Pierres Worten: „Drei ineinander gestapelte Schuhkartons, bedeckt von einem geschwungenen chinesischen Hut, auf dem ein 77 Meter hoher Fahnenmast mit der Trikolore steht.“
Plan d’eau: Metz von seiner grünen Seite
Nach dem Schlenker in die Moderne auf der anderen Seite der Bahngleise durchqueren wir das kaiserliche Viertel und erreichen schließlich das Quartier de la Citadelle. Das alte Munitionslager, das nach einem Umbau als Konzertsaal dient, und das ehemalige Proviant-Magazin – heute ein Hotel – sind die letzten Zeugen der mächtigen, jedoch geschliffenen Befestigungsanlage oberhalb der Mosel.
Wo einst das Militär lagerte, flanieren heute Besucher durch den Landschaftspark Esplanade – und entdecken die antike Kirche Saint-Pierre-aux-Nonnains, eines der ältesten Bauwerke von Metz. „Das berührt mich am meisten. Die Kirche stammt aus dem 4. Jahrhundert, und es gibt sie immer noch! Wir haben viel Glück, dass solch alte Bauwerke in einem so guten Zustand noch existieren“, schwärmt Pierre.
Am angrenzenden Plan d’eau, einer Art Stausee in der Mosel, empfängt uns Roby Iacuzzo. Seit ein paar Jahren zeigt der Kapitän neue Perspektiven auf die lothringische Metropole während ein- bis vierstündigen Rundfahrten mit dem Solarschiff „Solis Mettensis“ und dem venezianischen Boot „Bandiera“. An Bord der Bandiera schippern wir an diesem Abend, vom Wasser sanft gewiegt, über den kanalisierten Abschnitt der Mosel. Manche Häuserreihen scheinen direkt aus dem Fluss emporzusteigen. Wie in einer Revue zieht die Silhouette der Altstadt mit den alles überragenden Spitzen der Kathedrale an uns vorbei. Doch es ist das allgegenwärtige Grün, der Eindruck von unberührter Natur mitten in der Stadt, der den Blick vom Wasser aus prägt. „In Metz sind Stadt und Natur ein und dasselbe“, sagt Roby. „Mit etwas Glück kann man hier sogar Eisvögel beobachten.“ Eine Seltenheit in urbaner Umgebung.
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Führungen durch Metz Métropole – Agence Inspire Metz – Office de Tourisme (tourisme-metz.com)
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