Street Art in Nancy
Fotonachweis: Oliver RaatzJung, frech, frisch
Mit Street Art setzen Nancy und sein Musée des Beaux Arts bunte, spannende Kontrapunkte in der historischen Altstadt. Bei einer Tour kann man die wichtigsten Werke kennenlernen.
Natürlich funktionieren die Eisbären am besten, das war ja nicht anders zu erwarten. Wenn man in Zeiten von Facebook-Katzenvideos und Hundewelpen-Clips Menschen für moderne Kunst begeistern möchte, schafft man das locker mit einer Tierart, der gerade das Eis unter den Tatzen wegschmilzt. Mit großen Augen schauen die beiden Eisbär-Jungen und ihre Mutter Passanten in Nancys Rue Saint-Thiébault an. Was auf den ersten Blick wie ein Graffiti auf einer Hauswand aussieht, ist eine Installation.
Der portugiesische Künstler Bordalo II verwendet für seine weltweite Serie „Trash Animals“ Abfallprodukte der Konsumgesellschaft – und macht damit auf die Gefahren aufmerksam, die unser Lebensstil für die Erde mit sich bringt. 62 Tonnen Müll hat er bereits zu Kunst gemacht. Etliche Kilo davon hängen in Nancy.
„Und wenn die Leute darüber auch nur ein paar Sekunden nachdenken, haben wir unser Ziel schon erreicht.“ Susana Gállego-Cuesta steht vor den drei Bären und betrachtet ein junges Touristenpaar, das sich gegenseitig vor der Fassade fotografiert.
Die Direktorin von Nancys Musée des Beaux Arts betreut eine Street-Art-Tour durch die Innenstadt (ADN, für: Art Dans Nancy), die Besucher zu ungewöhnlichen Werken, ungewohnten Perspektiven und überraschenden Momenten führen möchte. Und die ein wenig dazu beitragen soll, dass Nancy mit seiner überwältigenden historischen Kulisse nicht mehr nur als Stadt mit großer Vergangenheit wahrgenommen wird. „Wir bieten auch heute viel. Viel moderne Kunst, viel Zeitgenössisches. Und wir verstecken das nicht in Museumssälen. Wir wollen das zeigen.“
Eine Stadt für die Menschen
Mitte des 18. Jahrhunderts, zwischen 1752 und 1756, ließ der lothringische Herzog Stanislaus I. seine Architekten eine Hauptstadt planen, die Maßstäbe setzen sollte: Natürlich wurde Nancy prächtig, jeder Boulevard, jeder Platz und jeder Palast zeugte von Macht und Reichtum. Aber Nancy war mit seinen öffentlichen Parks und Gärten auch eine Stadt für ihre Bewohner, was damals absolut ungewöhnlich war.
Drei große, nebeneinander liegende Plätze – die Place Stanislas, die Place de la Carrière und die Place d’Alliance – gehören mittlerweile zum Weltkulturerbe der UNESCO. Selbst heute noch spürt man etwas von jenem Flair, das damals von ihnen ausgegangen sein muss. Es sind diese Zeugnisse einer lange vergangenen Epoche, zu denen Susana Gállego-Cuesta und ihr Team mit ihrer Street Art kleine, bunte Kontrapunkte setzen möchte.
Die ersten Objekte, zu denen der ADN-Spaziergang führt, sind verspiegelte Halbkugeln auf dem Straßenpflaster vor berühmten Gebäuden der Stadt. Wer sie betrachtet, sieht aber nicht bloß die prächtigen Bauten in ihnen gespiegelt. Er sieht auch sich selbst als Teil der Kulisse – und setzt sich im besten Fall mit dem Kunstwerk auseinander.
Und dann? Sind da zum Beispiel eine fast 500 Quadratmeter große Fassade, die der amerikanische Street-Art-Künstler MOMO so bemalt hat, dass Farben und Muster je nach Standpunkt und Blickwinkel anders aussehen. Oder David Walkers „Giulia“, ein hauswandgroßes Porträt mit nachdenklichem Blick. Im Parc de la Pépinière
sind lothringische Fotomotive auf Tafeln montiert, die sich im Wind drehen und dadurch den Blick auf das Land permanent verändern. An der Place des Vosges ragt Daniel Burens weißblaues „Bouquet“ hoch hinauf in einen Himmel, der manchmal die gleichen Farben hat.
Zusammenspiel von alter Architektur und aktueller Kunst
Gállego-Cuesta sieht Nancys Street Art als work in progress, die nicht statisch bleiben, sondern sich verändern soll. „Natürlich ist es jedes Mal eine Gratwanderung, wenn wir einem neuen Künstler die Gelegenheit bieten, die Stadt an einer Stelle zu verändern“, meint die Museumsdirektorin. „Vor allem innerhalb der UNESCO-Weltkulturerbe-Zone müssen wir das ganz genau absprechen. Aber meistens finden wir eine Lösung. Das Zusammenspiel zwischen unserer historischen Architektur und der zeitgenössischen Kunst überzeugt die Zweifler fast immer.“
Und vielleicht ist das ja tatsächlich so, vielleicht braucht eine alte Stadt solche bunten Kunsttupfer, um nicht komplett zur historischen Kulisse zu werden. Vielleicht muss man dem Alten etwas Junges hinzufügen und dem Erhabenen etwas Frisches und Freches. Und dabei gleichzeitig zeigen, dass Kunst immer auch auf ihren Betrachter verweist. Wie die spiegelnden Halbkugeln vor den Bauten des 17. Jahrhunderts. Wie die Eisbären aus Wohlstandsmüll an einer Hausfassade.
Mehr über Street Art in Nancy bei Destination Nancy – Office de Tourisme :
https://www.nancy-tourisme.fr/de/aktivitaten/erbe-und-kultur/street-art/
Gefällt Ihnen, was Sie sehen?
Die Großregion hat noch viel mehr zu bieten! Werfen Sie doch einen Blick auf die folgenden Geschichten aus der Region und lassen Sie sich inspirieren.
Mein Saarbrücken
Unterwegs mit dem Urban-Art-Künstler Patrick Jungfleisch alias Reso
Bioweingut Ollinger-Gelz
Ganz natürlich – das Bioweingut Ollinger-Gelz