Belgien im Dezember 1944

Fotonachweis: Gregor Lengler
Das Bastogne War Museum lässt fiktive Charaktere erzählen

Vor mehr als 70 Jahren lag im belgischen Luxemburg die Stadt Bastogne im Zentrum der Ardennenoffensive. Ein Museum und eine Jeeptour zu den Schauplätzen der Ereignisse lassen die Geschichte von 1944 lebendig werden

Panzer rollen durch die Wälder. Das ausgelegte Stroh unter den Laufketten dämpft die metallischen Geräusche. Spuren verwischen. Die Hände und Füße der Soldaten bleiben kalt, obwohl die Männer marschieren. Sie tragen klamme Uniformen. „Seid schonungslos!“ Das ist der einzige Befehl, den Adolf Hitler überhaupt entlang der Siegfried-Linie, der Westgrenze des Deutschen Reiches, erteilt.

Hans Wegmüller gehört zu einer der Divisionen, die innerhalb von acht Tagen im Hafen von Antwerpen sein sollen. Er hilft dabei, Stroh unter die Laufketten der Panzer zu legen. Von diesen und weiteren Erlebnissen, erzählt der deutsche Leutnant beim Rundgang durch das Bastogne War Museum …

Fotonachweis: Gregor Lengler

Hans Wegmüller ist einer von vier fiktiven Charakteren, die den Besucher durch das Museum begleiten. Aus ihrer Sicht erzählen sie von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs in Belgien. Der Leutnant wirkt real, denn seine Erzählungen bündeln die Geschichten verschiedener Personen, die die Ardennenoffensive miterlebten.

Fotonachweis: Gregor Lengler

Über einen Audioguide hört man Hans von sich und seiner Heimat Frankfurt an der Oder sprechen. Hätte es keinen Krieg gegeben erzählt er, so wäre er Cellist geworden. Im ersten Raum des Rundgangs betrachten die Besucher Hans als schwarzweiße Illustration. Der Reichsadler und das Hakenkreuz sind auf seiner Mütze angebracht. Der Ausschnitt seiner Augen ist an mehreren Stellen im Museum zu finden: Es ist ein Hinweis für seine Erzählungen auf dem Audioguide.

„The Battle of the Bulge“ nannten die Amerikaner die Ardennenoffensive. Und von diesem Ereignis im Zweiten Weltkrieg erzählt das Museum. Der historische Hintergrund ist folgender: Die deutschen Panzertruppen wollten die Straßen durch Ostbelgien unter ihre Kontrolle bringen und in Bastogne trafen die sieben Hauptstraßen der Ardennen zusammen. Diesen Knotenpunkt versuchten die Deutschen zu kontrollieren, um im Hafen von Antwerpen die Reorganisation der Luftwaffe durch die Alliierten zu stoppen.

Fotonachweis: Gregor Lengler

Im Eingangsbereich spielt Musik. Sie klingt wie aus einem Hollywood-Kriegsfilm und soll den erlittenen Verlust und erkämpften Gewinn symbolisieren. Die meisten Besucher heutzutage haben keine persönliche Verbindung mehr zur Ardennenoffensive. Dem War Museum gelingt es jedoch, durch die audiovisuellen Raumkonzepte und die individuellen Erzählungen der fiktiven Charaktere, die Ereignisse von damals lebendig und emotional zu erzählen. So sind einzelne Abschnitte des Rundgangs mit einer Geräuschkulisse hinterlegt: Schreie und Schüsse aus dem Schützengraben bei ausgestellten Bomben und Granaten oder klingelnde Telefone bei ausgebreiteten Karten und Pässen. In einem Schaukasten steht senkrecht eine Trage. Auf dem Stoff ist getrocknetes Blut. Daneben kleben Dreck und Schweißflecken.

Fotonachweis: Gregor Lengler

Ein spärliches Licht flackert im Dunkeln und die Feldbetten, Kartoffelsäcke und Holzstühle werfen ihre langen Schatten in den Raum. Schüsse knallen und Kanonen donnern. Das Licht geht manchmal aus und wieder an. Eine Projektion an der Wand zeigt einen Schwarzweißfilm über verletzte Menschen und zerstörte Häuser im Schnee. Vor diesem Bühnenbild sitzen Besucher mit ihren Audioguides und lauschen der Geschichte vom Leutnant Hans Wegmüller – auf Französisch, Englisch, Niederländisch oder Deutsch.

So wird der Museumsbesuch auch zum Kinoerlebnis: Es gibt drei kleine Säle samt verschiedener Bühnenbilder zu entdecken. Die Vorführung findet ohne schauspielerisches Handeln statt. Hans Wegmüller, Emile Mostade, Mathilde Devillers und Robert Keane sprechen aus dem Off über ihre Erlebnisse während der Belagerungszeit in den Ardennen. Vor einem Saal hängt das Schild: Die Offensive. In den Wäldern in der Nähe von Bastogne im Morgengrauen des 16. Dezembers 1944. Die Tür geht auf und die Vorstellung beginnt.

Die Kämpfe waren sehr blutig, deswegen der Name The Battle of the Bulge. Übersetzt: Schlacht der Ausbuchtung. Es spielt auf die Ansammlung der deutschen Truppen an, die sich an der Front wie eine Beule formierten. 290.000 mäßig ausgebildete deutsche Soldaten gegen 50.000 geschwächte amerikanische Soldaten.

Die Ardennenoffensive wirkte sich entscheidend auf den Verlauf des Krieges aus. Die Deutschen setzten sämtliche Waffen und Kräfte ein – die ihnen dann am Ende an der Ostfront fehlten. Und das erleichterte es den sowjetischen Soldaten auf Berlin zuzumarschieren.

Fotonachweis: Gregor Lengler

Der fiktive Charakter Hans Wegmüller überlebt. Er hilft später beim Wiederaufbau seines Landes und besucht mit seinen Enkelkindern Bastogne.

www.bastognewarmuseum.be

Jeeptour zu den Orten des Krieges

Das War Museum bietet noch eine weitere Attraktion: eine Jeeptour zu den Orten des Geschehens im Zweiten Weltkrieg – in und um Bastogne. Der Guide und Fahrer ist Lionel Colla. Er besitzt einen Dodge Jeep 4121 CN 10. Sein Spitzname lautet Beeps, das steht für Big Jeep. Das Militärfahrzeug aus Holz und Stahl kommt aus den USA und wiegt 2,7 Tonnen. Lionel hat es zusammen mit seinem Vater restauriert und wieder fahrtüchtig gemacht. Mit geübten Bewegungen zieht sich Colla auf den Fahrersitz, greift nach dem Zündschlüssel und tritt die Kupplung, gibt ein wenig Gas und der Jeep fährt.

Zuerst stoppt Lionel an einer Gedenkstätte für ehemalige US-Soldaten: dem Friedenswald, auf Französisch Bois de la Paix. Birken stehen in Reih und Glied, bilden einen Kreis. Am 50. Jahrestag der Ardennenoffensive pflanzten hier amerikanische Veteranen um die 4000 Bäume. Vor jeder Birke ragt ein rechteckiger Stein aus dem Boden, auf dem der Name eines Soldaten steht. Lionel diente als Sergent in der belgischen Armee, aber diese Karriere hat er hinter sich gelassen.

Fotonachweis: Gregor Lengler
Fotonachweis: Gregor Lengler

Der Jeep verbraucht 30 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Die Luft riecht danach – sie ist von Abgasen getränkt. Bis zu neun Personen können auf der Ladefläche transportiert werden. Dort sind jeweils links und rechts zwei Sitzbänke aus Holz angebracht, eigentlich Truhen, um Waffen und Munition zu transportieren. Auf der Sitzfläche liegen dünne Wolldecken in Grün. Und die Schlaglöcher der Straßen sind zu spüren; Fahrer und Mitfahrer schwanken bei jedem Ruckeln mit. Auf dem Boden liegen auch moosgrüne Schutzhelme – ein Original ist auch dabei, mit einem roten Kreuz auf weißem Punkt, für Sanitäter.

Lionel Colla trägt einen khakifarbenen Fallschirm-Feldanzug aus Baumwolle. Am linken Oberarm ist das Airborne-Abzeichen der 101. US-Luftlandedivision aufgestickt; ein schreiender Adlerkopf. Und auf seiner Schiffchenmütze zeigt sich ein Paratrooper-Patch-Aufnäher, ein Fallschirm und ein Flugzeug. Außerdem trägt er kastanienbraune Springerstiefel der US Army.

Ein weiterer Stopp folgt in einem jungen Wald aus Nadelbäumen. Im Boden sind Senkungen, das sollen einmal Schützengräben auf offenem Feld gewesen sein. Die Kiefern wurden erst später gepflanzt. Kaum vorstellbar, dass an diesem unspektakulären Ort Menschen kämpften und versuchten zu überleben.

Der letzte Stopp ist der deutsche Soldatenfriedhof Recogne-Bastogne, südlich der Straße nach Foy. Auf den Steinkreuzen stehen Namen: Xaver, Friedrich, Wilhelm, Kurt. Sie starben mit 17 oder 18 Jahren; den Müttern wurden die Söhne geraubt. An die 27.000 Tote soll es bei den Schlachten in den Ardennen gegeben haben. Davon ruhen 6.000 Deutsche auf diesem Friedhof. Manche mit ihrem Namen, andere anonym; betitelt mit „Ein deutscher Soldat“.

Fotonachweis: Gregor Lengler

Wolken verstecken die Sonne, es sieht nach Regen aus. Lionel fährt zurück nach Bastogne; am Ortsanfang kommt ein Militärgelände, der hohe Zaun trennt die Schlafbaracken vom Gehsteig. Dann folgen Kirchen und Kriegsdenkmäler. Die Vergangenheit des Ortes zeigt sich offensichtlich. Auf den engen Straßen staut sich der Verkehr, im Kreisverkehr stockt die Fahrt. Während des Wartens brummt der Jeep am lautesten vor sich hin.

Lionel ist ein charismatischer Guide. Er beantwortet jede Frage mit seinem Fachwissen, erzählt und zeigt viel – man merkt ihm seine militärische Ausbildung an. Die Fahrt mit dem Jeep bringt einem die Geschichte von Bastogne noch einmal näher. Und zusammen mit dem Wissen aus dem Museum entsteht Empathie für die Soldaten – ganz gleich, auf welcher Seite sie standen.

Der Tag verliert an Licht. Wind kommt auf. Die Jeeptour endet dort, wo sie angefangen hat: vor dem War Museum. In der Nähe steht das Mardasson-Denkmal. Wie ein Stern ist die Erinnerungsstätte für die amerikanischen Opfer geformt. Eine Wendeltreppe führt nach oben zu einer Aussichtsplattform und eröffnet den Besuchern einen freien Blick auf die Landschaft. Der Krieg wurde vor Jahrzehnten beendet und bleibt weiterhin ein Teil von Bastogne.

Balade US – Battle of the Bulge

Fotonachweis: Gregor Lengler
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