Vesdre

Fotonachweis: © FTPL Gregor Lengler

Die Milch macht’s. Und das weiche Wasser

Wollverarbeitung und Textilproduktion haben Verviers einst wohlhabend gemacht. Die berühmte Vergangenheit der Stadt lässt sich heute bei Stadtbummel und Museumsbesuch entdecken. Und wenn man zwischendurch Hunger hat, gibt einem der legendäre Reiskuchen neue Energie

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Um Himmels Willen, sagt Grégory Delhez, die Milch sei so ziemlich das Wichtigste, da dürfe man nicht einfach irgendeine nehmen. Die Milch müsse von Kühen aus der Region stammen. Unbedingt. Die Böden rund um Verviers seien besonders, das Gras anders, das wirke sich auf die Milch aus. „Nur mit Milch aus der Region wird unsere Tarte aux riz so, wie sie sein soll. Das hat schon mein Großvater gewusst. Und dessen Vater ebenfalls.“  Delhez öffnet die Ofenklappe und schaut hinein. Augenblicklich strömt der Duft des Reiskuchens durch die Bäckerei. „Braucht noch eine Minute“ sagt er. „Vielleicht zwei. Aber nicht länger.“

Wenn er nicht immer so schnell nach seiner Herstellung aufgegessen würde – gut möglich, dass der Reiskuchen längst das Wahrzeichen von Verviers wäre. In der Boulangerie George wird er seit vier Generationen zubereitet. Die älteste Bäckerei der Stadt verkauft ihn an Leute aus der Nachbarschaft, mache Stammkunden kommen sogar vom anderen Ende der Stadt. Und natürlich stehen auch immer wieder Touristen im Laden, die mitbekommen haben, dass es in der Rue de Minières so ziemlich die beste Tarte aux riz gibt, die man auf dieser Welt bekommen kann.

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Und wie bekommt man die hin? Ach, meint Grégory Delhez, das Rezept könne man ja überall finden, allein im Internet gebe es das Dutzende Mal. Milch, Reis, Zimt, der Teig und die Eier, das sei ja alles kein Geheimnis. Warum sein Reiskuchen dann offensichtlich besonders gut schmeckt? Der Bäcker zuckt mit den Schultern. Vielleicht habe es mit Fingerspitzengefühl zu tun, meint er. Vielleicht auch mit Erfahrung. „Ich mache das ja nun schon seit ein paar Jahren. Irgendwann hat man den Dreh raus.“

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Ein gelungener Reiskuchen schmeckt köstlich. Unten der Teig, oben die hellbraune Kruste, dazwischen diese wunderbare Melange aus Milch und Reis. Nicht zu fest darf die sein (und auf keinen Fall trocken!); am besten ist eine Tarte aux riz, wenn die Füllung cremig ist und beinahe flüssig – aber eben nur beinahe. Die richtige Herstellung ist in Verviers beinahe eine Wissenschaft für sich. Es gibt sogar eine Bruderschaft des Reiskuchens, die “Seigneurie de la Vèrvî-Riz“. Ihre Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Tradition der Reiskuchenherstellung zu bewahren und ihn weiter bekannt zu machen. „Jamais pour me nourrir, toujours pour le plaisir“, lautet ihre Devise, „Magnans, Frés, fât qu’on rêye, avoû noss blanke Dorêye“. Oder, übersetzt: Niemals als Nahrung, immer aus Vergnügen. Lasst uns essen, Brüder, und lasst uns lachen, mit unserer Reistorte.

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„Ja, die gibt einem schon Energie. Und sie ist preiswert herzustellen. Früher war das ein typisches Arbeiteressen.“ Jaques Thonnard ist Historiker und vermutet, dass der Reiskuchen schon ziemlich lange zu Verviers gehört. Spezialisiert hat er sich allerdings auf einen anderen wichtigen Aspekt in der Geschichte der Stadt. Über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren war Verviers ein bedeutendes Zentrum der Woll- und Textilindustrie, bis ins 20. Jahrhundert hinein war das so. Und so wichtig die Milch der Kühe aus der Umgebung für den Reiskuchen ist, so bedeutend war das Wasser der Weser (ein Nebenfluss der Ourthe, nicht zu verwechseln mit der Weser in Deutschland) für die Textilindustrie – das war nämlich so weich und beinahe komplett kalkfrei, dass es sich perfekt zum Waschen von Wolle eignete. „So was nennt man dann Standortvorteil“, meint Thonnard. „Die Bedingungen in Verviers waren einfach besser als anderswo.“

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Und so kam es, dass Stoffe aus dem kleinen Verviers in die große Welt geliefert wurden: Wahrscheinlich gab es damals kaum eine Armee auf dem Kontinent, die nicht in Uniformtuchen von hier kämpfte.

Zuerst wurde die Wolle in kleinen Manufakturen verarbeitet; als Anfang des 19. Jahrhunderts große Maschinen die Handräder ersetzten,  begann auch in Verviers eine neue Ära. Bei einem Besuch im Woll- und Modezentrum (CTLM – Centre Touristique de la Laine et de la Mode) kann man nachvollziehen, wie rasant die Entwicklung damals verlief, als innerhalb weniger Jahrzehnte immer modernere Scher- und Spinnmaschinen erfunden wurden. Und wieder hatte Verviers einen Standortvorteil gegenüber den Produktionsorten in der nahen Eifel: Die Stadt war wesentlich besser an die großen Verkehrs-und Transportwege angebunden. Wolle aus Übersee und preiswerte Kohle kamen schneller nach Verviers. Und was in der Stadt produziert wurde – kam schneller auf die Märkte der Welt.

Wer will, kann sich nach dem Besuch im Woll- und Modezentrum noch auf den Weg machen: Der Rundgang „Auf in die Stadt der Wolle“ führt an mehreren historischen Maschinen aus verschiedenen Epochen der Textilindustrie vorbei. Und so ganz nebenbei sieht man auf ihm auch die schönsten Gebäude aus der Glanzzeit Verviers. Vier Kilometer ist der Rundweg lang. Falls man anschließend Appetit verspürt, kann man sich in der Boulangerie George ja einen Reiskuchen kaufen.

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