Ein Teil des Industriekomplexes ist von oben zu sehen. Viele Rohre und verschiedene Gebäudeelemente sind sichtbar.

Minett-Tour

Fotonachweis: Oliver Raatz
Im Land der roten Erde

Die Minett Tour führt durch den Süden Luxemburgs und macht die Geschichte der Stahlindustrie in vielen Facetten lebendig. Man kann sowohl in die Bergarbeiter-Vergangenheit schauen, als auch Stahl-Industriekultur erleben und Blicke in eine urbane, dynamische Gegenwart und Zukunft werfen.

Belval ist ein rauer Ort. Eine alte Industriehalle, in die durch Fenster weit oben Dämmerlicht hereinfällt und die heute eine multimediale Ausstellung über die Stahlindustrie beherbergt. Daneben zwei Industriekolosse – die stillgelegten Hochöfen A und B. Und Industrieanlagen, die noch in Betrieb sind. Es ist ein schöner Morgen, als wir auf einer Art Himmelsleiter Hochofen A erklimmen – der wurde nämlich für Besucherinnen und Besucher so restauriert, dass man über Treppen sicher bis auf 40 – oder bei Spezialführungen sogar bis auf 80 Meter – steigen kann. Belval ist einer von fünf Orten, die zur Minett Tour gehören, einer etwa 35 Kilometer langen Industriekultur-Route, auf der man viel Ungewöhnliches erleben kann. Oder wer ist schon mal auf einen frei stehenden Hochofen gestiegen? Eben.

Ein Blick aus der Vogelperspektive von der Spitze des Hochofens im Industriegebiet Minett, mit Blick auf den Rest des Komplexes. Fotonachweis: Oliver Raatz
Eine Wissensstadt entsteht

Belval ist ein spannender Ort. Denn es ist nicht nur ein Industriemuseum, sondern auch eine nagelneue Wissenschaftsstadt am Rande von Esch-sur-Alzette – mit riesiger Konzerthalle, neuen Wohnungen, frisch gebautem Einkaufszentrum und mit avantgardistischen Gebäuden der Universität Luxemburg. Längst ist nicht alles fertig, überall arbeiten noch Kräne. Das Außergewöhnliche: Die Industriedenkmäler stehen mitten drin, also quasi auf dem Uni-Campus und zentral im entstehenden Quartier. „Das ist meiner Ansicht nach einzigartig in Europa“, sagt der Architekt Jean Goedert, der das Projekt von Anfang an begleitet hat. Aber gehen wir noch einmal ein Stück zurück: Wann hat das hier alles eigentlich angefangen? Und wie?

Hier sind die Universitätsgebäude rund um den Minett-Komplex gut sichtbar. Neue rot-weiße Universitätsgebäude im Vordergrund kontrastieren mit dem Industriebau im Hintergrund. Fotonachweis: Oliver Raatz
Man sieht einen Hochofen von unten, hinter dem nur der Himmel zu sehen ist.
Fotonachweis: Oliver Raatz
Aus dem Boden, zum Stahl

Der Süden Luxemburgs wird wegen des hohen Eisengehalts im Boden auch das Land der roten Erde genannte – oder „de Minett“, wie die Einheimischen sagen. Hier, rund um Esch, konnte man das Erz relativ leicht über waagerechte Tunnel abbauen, da die Gegend bergig ist und die Eisenvorkommen nicht sehr tief lagen, anders als etwa im benachbarten Lothringen.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Eisenerz-Abbau im Tal Fond-de Gras deshalb so richtig Fahrt auf und endete erst Anfang der 1980er-Jahre, weil es auf dem Weltmarkt immer günstiger und einfacher Erz zu kaufen gab, das einen deutlich höheren Eisengehalt hatte als das luxemburgische.

Ein lebendiger Campus

Hier, im benachbarten Belval, wurde ab etwa 1911 bis weit in die 1990er-Jahre hinein aus dem Erz vom Fond-de-Gras Stahl hergestellt. Später schmolz man lieber Eisenschrott in Elektroöfen. Ein Teil der Hochöfen wurde damals verkauft, A und B blieben. A ist heute Teil des Museums Hochöfen Belval. Noch sind Semesterferien, und der neue Campus ist relativ menschenleer. Aber man kann sich schon vorstellen, wie das hier ist, wenn das studentische Leben zurückkehrt.

Dann werden die freien Plätze zwischen den avantgardistischen Gebäuden bevölkert, dann sitzen junge Leute an den mit Regenwasser gefüllten coolen Bassins (im Zentrum eines dieser Teiche steht sogar eine Ruine der alten Industrieanlage). Oder sie ziehen sich zum Arbeiten in die Universitäts-Bibliothek zurück, die der Luxemburger Stararchitekt François Valentiny entworfen hat.

„Hier passiert derzeit ganz viel“, erzählt Jean Goedert weiter, „denn man hat sich entschieden, dass Belval ein Viertel mit einer kompletten städtischen Infrastruktur werden soll. Und bald kommt noch ein Rad- und Fußweg dazu, der Esch mit Belval verbindet und der auf einer Brücke mitten durch den Außenbereich des ehemaligen Stahlwerks führt.“ Wir stehen jetzt ganz oben, auf dem Hochofen in 80 Meter Höhe. Und das ist, mal vorsichtig ausgedrückt, ziemlich luftig. Die letzte Strecke sind wir auf einer Alu-Wendeltreppe nach oben gestiegen, Schwindelfreiheit ist auf diesen letzten Metern wirklich vorteilhaft.

Doch der Aufstieg auf den Hochofen hat sich gelohnt – die Sicht auf die Zukunft von Belval, auf Luxemburg und sogar auf Frankreich ist einfach gigantisch. Und die Ästhetik dieser alten Anlage auch für Laien faszinierend: Man kommt auf dem Weg nach oben an riesigen Stahlrohren, überdimensionalen Ventilen, Schrauben, Luken und Gerüsten vorbei, die allesamt erzählen, wie es hier vermutlich einst mal war: ruppig, heiß, gefährlich, voller Rauch. Heute ist der Himmel über Belval klar.

Rot-weiße Universitätsgebäude sind von den Straßen des Campus aus zu sehen. Die modernen Gebäude stehen im Kontrast zu ihrem historischen Standort. Fotonachweis: Oliver Raatz
Dampflok fahren

Szenenwechsel. Das hier ist ein nostalgischer Ort. Wir sind im Minett Park in Fond-de-Gras, dort, wo früher das Erz abgebaut wurde. Mittlerweile ist es hier sehr idyllisch. In der Talsohle steht ein kleiner Bahnhof wie vor über 100 Jahren. Die Dampflok wartet schon und stößt erste Wölkchen durch den Schornstein, der Zug fährt in einer Viertelstunde ab.

Ein kleiner Verein hält die Bahnstrecke, mit der man einst das geförderte Erz abtransportiert hat, lebendig und lässt dort sonntags historische Personenzüge verkehren. Die zuckeln mit viel Getöse, Familien und Eisenbahnfans in etwa einer halben Stunde bis nach Pétange und kehren dann um.

Dabei zieht die Dampflok eine graue Wolke hinter sich her, während sie durch Wälder und Wiesen rattert. Und die Fahrgäste drinnen staunen über die schönen, alten Details in den Personenwaggons: über die Holzbänke, die Dielen am Boden, den Alarmknopf mit rotem Hebel an der Decke und über Schiebefenster, die in der Tür verschwinden, wenn man sie öffnet. Train 1900 heißt das ganze Projekt. „Unser Freilichtmuseum macht die Industriekultur der Region lebendig“, erzählt Frédéric Humbel, Chef-Koordinator im Minett Park.

Manche der Gebäude und Anlagen standen schon immer hier, andere seien von umliegenden Standorten hergebracht worden, wie zum Beispiel ein altes Walzwerk aus Belval oder ein ausgedientes Kraftwerk. Humbel erzählt auch, dass Luxemburg in den Hochzeiten der Stahlindustrie viele Gastarbeiter hatte, dass Migration schon damals eine wichtige Rolle gespielt habe, weil man nicht genügend Arbeitskräfte im eigenen Land hatte. „Das internationale Flair, das Luxemburg heute ausmacht, hat genau da seinen Ursprung“, sagt er. Kleines Beispiel: Schon vor 100 Jahren konnte man im Kaufmannsladen im Fond-de-Gras Polenta kaufen.

Ein als Zugführer verkleideter Mann hängt an der Seite eines historischen Zuges. Der Zug scheint sich zu bewegen. Fotonachweis: Oliver Raatz

Besonders beeindruckt uns im Minett Park die „Salle des Pendus“ in Lasauvage. Übersetzt heißt das: Saal der Gehängten. Doch keine Angst, das kleine Museum zeigt einen Wasch- und Umkleideraum, wie ihn die Bergarbeiter früher nutzten. Und lediglich ihre Arbeitskleidung hängten die Männer an Haken und zogen sie über Ketten bis unter die Decke – so konnten die Sachen besser trocknen und der Fußboden war leichter zu reinigen.

Jeder Arbeiter sicherte seine Sachen, indem er die Hochziehvorrichtung mit einem Vorhängeschloss versah. Ein paar alte Klamotten, Helme und Grubenlampen hängen dort heute wieder, und deshalb wirkt der Raum, als sei der letzte Arbeiter eben nach Hause gegangen. Naja, nicht ganz:Die Metallschuhschränke sind leer – und die Waschbecken rostig.

„De Minett“ ist ein Ort voller Zukunft. Denn man versteht in diesem Raum ganz intuitiv, welche Entwicklung dieser Landstrich geschafft hat und wie Strukturwandel gelingen kann: Das Land der roten Erde wurde von einer rauen Industrie-Region zu einer Region mit Ideen und intakter Natur. Wo früher Stahl geschmolzen wurde, lernen heute Studenten. Und wo der Himmel grau war, spaziert man heute durch lauschige Wälder mit reiner Luft. Gerade wird dort übrigens noch ein Minett Trail geplant – eine Wanderroute durch die Gebiete des ehemaligen Tagebaus, die sich die wilde Natur Stück für Stück zurückholt. 2022 wird Esch-sur-Alzette Kulturhauptstadt Europas. Das Land der roten Erde, seine Vergangenheit wie seine Zukunft, wird dann auch ein zentrales Thema sein.

Historische Bergmannskleidung hängt an Haken in einem Raum, der ursprünglich für alle Uniformen der Bergleute gedacht war. Heute kann dieser Raum als Teil des Museums besichtigt werden. Fotonachweis: Oliver Raatz
Im Inneren des Museums zeigt eine Wand, wie die industrielle Verarbeitung früher funktionierte. Überall ragen rostige Rohre aus der Wand.
Fotonachweis: Oliver Raatz

Mehr Infos unter:
https://minettpark.lu/deu

Infos zu allen fünf Stationen der Minett Tour bekommt man hier:
http://www.minetttour.lu/de

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