Das Hohe Venn
Fotonachweis: Udo BernhartDas Hohe Venn im Fokus – Unterwegs mit Guido Bertemes
Baumgerippe, wilde Natur, endlose Holzstege und ein leichter Nebel – melancholisch, mystisch und wunderbar entspannend ist eine Wanderung durchs riesige Hohe Venn. Hobbyfotograf Guido Bertemes ist gerne dort unterwegs und zeigt seine Lieblingsorte.
„Normalerweise sieht das hier ganz anders aus.“ Guido Bertemes schirmt seine Augen vor der strahlenden Sonne ab und blickt über die Landschaft. Er lacht ungläubig, schaut durch den Sucher seiner Kamera, fokussiert und macht ein Bild. „Oft sieht man, wenn man Glück hat, bis zum übernächsten Baum“. Guido ist leidenschaftlicher Hobbyfotograf und hat schon an mehreren Bildbänden über das Hohe Venn mitgearbeitet. Der gebürtige Eupener ist oft im Hochmoor unterwegs. Dabei zieht es ihn, fast automatisch, immer wieder an bestimmte Orte.
An Les Six Hêtres zum Beispiel, „Sechs mächtige Buchen“, unter denen im letzten Jahrhundert die Schäfer des Venns Rast zu machen pflegten. Es gibt keine Schilder, die auf den Platz hinweisen, keine Erklärungen, wieso er besonders ist. Hier stehen einfach nur sechs Buchen. „Wenn es neblig ist, ist dieser Ort ganz schön mystisch“, findet Guido. Aber auch im Sonnenschein sehen die mächtigen Äste der Buchen aus wie Greifarme, die sich aus dem hohen Gräsermeer winden. Ein tolles Motiv, findet Guido, und macht ein Foto.
Auf dem 5000 Hektar großen Hochplateau gibt es unzählige dieser Baumgerippe. Das Überleben im Hochmoor, das aus vielfarbigen Torfmoosen besteht und vollgesogen mit Wasser etwas erhaben über der Landschaft liegt, ist hart. Nach der letzten Eiszeit begannen sich diese Moore zu bilden, an manchen Stellen bis zu zehn Meter tief. Nass werden muss bei einer Wanderung trotzdem keiner. Ein riesiges Wegenetz zieht sich über das große Gebiet, das von Ostbelgien bis nach Nordrhein-Westfalen und die benachbarte Wallonie reicht. Nicht alle Wege dürfen jedoch ohne weiteres betreten werden. Das Venn ist in B-, C- und D-Zonen gegliedert. B-Zonen sind für alle Besucher zugänglich. C-Zonen dürfen nur mit Wanderführer betreten werden und D-Zonen sind für die Öffentlichkeit gesperrt.
Ein unauffälliger Höhepunkt
Auf einem kleinen grasbewachsenen Hügel ist eine steinerne Treppe angelegt, die einfach nur nach oben führt. Was dort oben liegt, wird erst nach Erklimmen der hohen Stufen ersichtlich: Es ist der höchste Punkt Belgiens. Von einem siebenhundert Meter hohen Belgien hatte damals ein ambitionierter Staatsmann geträumt und bei Botrange auf dem Hohen Venn, der höchsten Erhebung Belgiens (694m über dem Meeresspiegel), einfach eine Treppe gebaut, die die letzten sechs Meter bis zur 700m-Marke auffüllen sollte. Dass Belgien nun auch mit dieser Treppe nicht ganz 700m hoch ist, da man sich beim Bau verrechnet hat, stört heute niemanden mehr.
Guido läuft die Treppenstufen dieses unauffälligen Höhepunktes nach oben und murmelt: „Wenn man oben angelangt, ist man enttäuscht, weil man eigentlich gar nichts sieht“. Trotzdem steigt er bei jedem Besuch wieder hinauf. Denn wenn man sich von den Baumspitzen weg Richtung Straße dreht, kann man über das Wallonische Venn schauen. Noch besser geht das von der Aussichtsplattform aus Holz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, da man hier der Natur näher ist. Auf der großen brachen Fläche kann der Wind volle Fahrt aufnehmen und zerzaust den Besuchern die Haare. Eine willkommene Ablenkung von der Hitze, die heute wie eine warme Wolldecke auf den Schultern liegt.
Zu jeder Jahreszeit zeigt sich das Venn in einer anderen Farbe. Im Frühling sind die Torfmoosteppiche von den Blüten des Wollgrases weiß getupft. Im Sommer schwimmen große Inseln aus gelben Ährenlilien über dem Moorgebiet, während das umliegende Gras ein fast unnatürlich saftiges Grün angenommen hat. Guidos Lieblingsjahreszeit ist jedoch der Herbst, wenn der Nebel zu Füßen der gelb-rot gefärbten Bäume liegt, dann sei es hier wundervoll mystisch und melancholisch, meint der Fotograf.
Immer den Ohren nach
Wenn es dunkel wird oder sich Nebel über die Moorlandschaft legt, ist die Orientierung gar nicht mehr so einfach. Zum Glück gibt es einen Turm, der Wanderern den Weg weist. Früher haben auch eine Glocke und ein Leuchtfeuer Orientierung geboten – bis 1867 wurde die Glocke, die in der urigen Gaststätte Baraque Michel hängt, allabendlich und bei Nebel geläutet.
Baraque Michel liegt direkt am Wanderparkplatz, von hier aus starten viele Rundwege ins Venn. „Auf der Rückkehr gehört eine Einkehr in die Gaststätte einfach dazu,“ schwärmt Guido, vor allem das selbst hergestellte Vennbrot und die Wildschweinbuletten mit Rotkohl müsse man probiert haben. Heute ist der Fotograf jedoch nicht wegen der traditionellen Küche hier – mittwochs ist Ruhetag in der Gaststätte – sondern wegen Marie und François, den tragischen Berühmtheiten des Venns. Der Rundweg zu den beiden beginnt an der Kapelle Fischbach, in deren Turm noch im letzten Jahrhundert ein Leuchtfeuer die Verirrten in Sicherheit lotste.
Obwohl der Weg sehr schön ist, scheinen Guidos Schritte etwas schwerer geworden zu sein. Nachdenklich folgt er dem Schotterweg, an dem hier und da hohe viereckige Steine stehen. P und B sind auf verschiedenen Seiten eingemeißelt. „Der Weg führt an der ehemaligen Bistumsgrenze zwischen Preußen und Belgien entlang,“ weiß Guido. Mitten durch damals noch unwirtliches und gefährliches Gebiet.
„Die Geschichte von François und Marie ist eine voller Liebe und letztendlich voller Tragik,“ erzählt Guido und geht auf einen Grenzstein zu, neben dem ein großes Holzkreuz steht. Das junge Paar wollte in einer bitterkalten Januarnacht 1871 das Hohe Venn durchqueren, um die Hochzeitspapiere abzuholen. Aller Warnungen zum Trotz liefen sie in den Schneesturm hinaus, kamen vom Weg ab und erfroren. Der Ort an dem das „Kreuz der Verlobten“ steht, soll der Ort sein, an dem Marie starb. François, der Hilfe holen wollte, wurde etwa einhundert Meter davon entfernt gefunden. „Jedoch erst zwei Monate später, nachdem der Schnee geschmolzen war,“ sagt Guido leise und greift nach dem roten Herz, das an einem roten Band, wie eine Halskette, um das Kreuz gelegt wurde. „Es ist aber auch eine Geschichte voller Hoffnung, für die Liebe.“ Vielleicht ist das Croix des Fiancés auch deswegen mittlerweile zu einer Art kleinem Pilgerort im Venn geworden.
Obwohl das Croix des Fiancés in jedem Reiseführer erwähnt wird, ist der Ort ganz schlicht. Kennt man die Geschichte nicht, ist es bloß ein weiteres von den zahllosen Kreuzen im Hohen Venn. Noch ein Ort, der – wäre heute ein ganz normaler Tag im Venn – eine Gänsehaut verursachen würde. Aber es ist eben einer von den Ausnahmetagen, an dem kein Nebel die umliegenden Sträucher und Bäume verschluckt und Baumgerippe und Kreuze nur schemenhaft erkennbar macht.
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