Schieferstollen in Recht
Fotonachweis: Thomas LinkelZeitreise unter Tage
Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde Blaustein, das ist ein bläulich gefärbter Philit-Schiefer, im Dorf Recht in Ostbelgien abgebaut. Der Besuch des Rechter Stollens ist ein spannender Ausflug in die Geschichte und Geologie der Region.
Bässe wummern, die Nebelmaschine zischt, Discoscheinwerfer tauchen die schroffen Felswände der „Kathedrale“ im Takt der Musik in buntes Licht, hier rot, da grün, dort lila: Die Lightshow ist der fulminante Höhepunkt einer Führung durch den Rechter Schieferstollen. So spektakulär ging es hier früher nicht zu, der Abbau des taubenblauen Gesteins war ein echter Knochenjob. Jahrhundertelang wurde der begehrte Blaustein in der Region im Tagebau gewonnen.
Um auch an das in tieferen Erdschichten versteckte Schiefergestein zu gelangen, begannen die Gebrüder Margraff dann mit dem Bau des Stollens. „Damals gab es weder Presslufthämmer noch Dynamit – per Hand haben die Bergleute Löcher in den Fels gemeißelt, die mit Schwarzpulver befüllt wurden“, erzählt Christian Krings, der die mit Schutzhelmen ausgestattete Besuchergruppe durch den Stollen führt. Allein fünf Jahre dauerte es, den 300 Meter langen Zugangstunnel fertigzustellen: Pro Tag sprengten sich die Arbeiter rund 30 Zentimeter voran, bis die wertvollen Schiefervorkommen endlich erreicht waren.
Der Einstieg in die Rechter Unterwelt gestaltet sich durchaus unspektakulär: Vom hölzernen Empfangsgebäude werden die Besucher über eine Stahltreppe hinunter zum Tunnel-Eingang geführt, der sich hinter einer Tür verbirgt. Etwas mehr als einen Meter breit ist der Gang, die von Stahlträgern und mächtigen Holzbohlen getragene Decke kaum zwei Meter hoch. In regelmäßigen Abständen erhellen Lampen spärlich den Weg. Die Temperatur im Stollen liegt konstant bei sieben Grad Celsius, im Sommer wie im Winter, die Luftfeuchtigkeit bei annähernd 100 Prozent.
Das macht sich in einem beständigen Tröpfeln von Decken und Wänden bemerkbar. Die Felswände schimmern feucht und der Boden ist mit Gitterrosten versehen, sonst würde man schnell nasse Füße bekommen. Überraschenderweise riecht es hier nicht nach feuchtem Keller, denn Lüftungsschächte sorgen sogar für einen spürbaren Luftzug. Mit einer Taschenlampe leuchtet Christian Krings zusätzlich den Weg, hier und da müssen die Besucher den Kopf einziehen, weil die Decke niedriger wird. Der Tunnel ist schnurgerade, erst kurz vor der Abbaustelle gabelt er sich. Unmerklich führt der Weg in die großen Abbauhallen, die in rund 70 Metern Tiefe liegen.
Historischer Einblick in die Welt unter Tage
An der Hand ihres Vaters Jörg stehen die sechsjährige Claire und ihre vierjährige Schwester Olivia staunend in der sogenannten Kathedrale. Mehr als 14 Meter hoch und rund 100 Meter lang ist die durch den Abbau des Blausteins entstandene Höhle. Ähnlich wie in einem Steinbruch wurden hier bis zu 750 Kilogramm schwere Blöcke per Hand aus dem Fels geschlagen und mit Loren nach draußen geschoben. „Der Rechter Schiefer hat eine hervorragende Qualität. In frischem Zustand ist er weich wie Holz, später härtet er dann aus und ist sogar wasserdicht. Er ist dann fast unverwüstlich und hält jahrhundertelang“, erklärt Christian Krings.
Das zum Schieferstollen gehörende Museum vermittelt einen Eindruck von den vielen Verwendungsmöglichkeiten für Blaustein. Damit lassen sich nicht nur Wassertröge und Schleifsteine fertigen, sondern auch Straßen pflastern und ganze Häuser hochziehen. In der Region ist das kaum zu übersehen, neben der Kirche sind auch einige Häuser im Ort komplett aus Blaustein gebaut. Die meisten der Felsblöcke wurden aber zu Grabmalen verarbeitet, erzählt Christian Krings, denn: „Wer was auf sich hielt und ewig in Erinnerung bleiben wollte, wollte unbedingt einen Grabstein aus Rechter Blaustein.“
Etwa 15 Jahre lang arbeiteten bis zu 25 Mann im Berg, bis der Stollen vor rund 100 Jahren geschlossen wurde. Er wäre wohl in Vergessenheit geraten, hätten sich nicht einige Männer zusammengefunden mit dem Ziel, das Bergwerk wieder in Stand und die Geschichte des Rechter Schiefers in Szene zu setzen. Fast zehn Jahre haben die Mitglieder der VOG Schieferstollen in ihrer Freizeit geschuftet, um den damals einsturzgefährdeten Tunnel zu retten. Seit 2007 ist er nun für Besucher geöffnet. Heute sieht es im Bergwerk fast wieder so aus wie früher. An den Wänden aus dunklem, schroffem Gestein stehen massive hölzerne Gerüste, Schaufensterpuppen in Bergmanns-Montur bearbeiten mit Spitzhacken die Felswände oder schieben Loren. Die Arbeit war nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich. An einen Todesfall unter Tage erinnert ein Grabmal: Ein Bergmann war von einem herabstürzenden Fels erschlagen worden, die Kumpel hauten aus dem Steinblock dann seinen Grabstein.
Nirgendwo wird Geologie so begreiflich wie unter der Erde
Die Führung durch den Stollen ist nicht nur eine Exkursion in die Geschichte des Blausteins. Hier, weit unter der Erdoberfläche, lassen sich die verschiedenen Gesteinsschichten gut erkennen – so werden ganz nebenbei auch erdgeschichtliche und geologische Zusammenhänge verständlich. Und man hält auf Rituale. Durch ein etwa ein Meter großes Loch am Fuß der Felswand fällt der Blick in eine kleine, darunter liegende Höhle. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass die bis zum Rand mit glasklarem Wasser gefüllt ist. Auf dem Grund liegen Münzen, die von Besuchern hinabgeworfen wurden – „um sich etwas zu wünschen“, erzählt Christian Krings.
Auch Olivia und Claire werfen Geldstücke hinein: Einen Hund wünsche sie sich, verrät Olivia. Nach der einstündigen Führung durch den 800 Meter langen Stollen geht es für Jörg und seine Töchter zurück ans Tageslicht. Das erscheint erst einmal gleißend hell und der warme Sommertag wirkt nach den winterlichen Temperaturen unter Tage noch wärmer. Die Mädels schälen sich aus ihren Winterjacken und schlecken erstmal ein Eis. Übrigens: Wem das Unter-Tage-Abenteuer nicht geheuer ist, der kann über den acht Kilometer langen Blausteinweg rund um Recht wandern – und so auch oberirdisch viel über die Geschichte des Schieferabbaus in der Region lernen.
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